Das Corona-Papier: Seehofer im Bunker


Nachdem das Corona-Papier von Achgut.com jedermann zugänglich gemacht worden ist und hier heruntergeladen werden kann, hat die Öffentlichkeit die Möglichkeit, sich selbst ein Bild über die Stichhaltigkeit der dort vorgetragenen Kritik zu machen. Es geht im Wesentlichen darum, dass die völlig überzogene Corona-Panik und die daraus resultierenden politischen Maßnahmen in Deutschland viel mehr Todesopfer fordern könnten als die eigentliche Krankheit. Von großer Sprengkraft ist auch die Feststellung, dass von politischer Seite offenbar keine ausreichende Folgenabschätzung gemacht wurde. Das könnte ein erhebliches juristisches Nachspiel haben, etwa bei Schadenersatzprozessen. 

Bereits am vergangenen Sonntag – ein für ein Ministerium ungewöhnlicher Arbeitstag – wurde in einer schnell zusammengeschusterten Pressemitteilung versucht, den drohenden Flächenbrand zu ersticken und als „Privatmeinung“ des Verfassers darzustellen, der sein Papier unerlaubterweise mit dem Briefbogen des Ministeriums verschickt habe. Dies entspricht nicht der Wahrheit. Mitarbeiter des Ministeriums und Vorgesetzte waren in die Entstehung des Papiers einbezogen und äußerten sich teilweise sogar lobend, wie Achgut.com hier nachgewiesen hat. Der Referatsleiter KM4, der das Dokument seines Referenten lobte, wurde vor wenigen Wochen sehr abrupt von seinem Posten versetzt, was sehr mysteriös ist, weil sein Nachfolger in wenigen Monaten in Pension geht. Reguläre Postenwechsel sehen anders aus.

In Hintergrundgesprächen wurde in den letzten Tagen gleichzeitig versucht, den Verfasser des Papiers zu pathologisieren, ihn gar als Querulanten und Spinner darzustellen. Oberregierungsrat Stephan Kohn, sein Name wird inzwischen in den Medien offen kommuniziert, leitete aktuell das Projekt „Erneuerung der nationalen KRITIS-Strategie“ (Kritische Infrastrukturen) im BMI. 

Anstatt sich endlich mit dem Papier inhaltlich auseinanderzusetzen, wie man es von einem verantwortungsbewussten Innenminister erwarten kann, wurde der Überbringer der schlechten Nachricht sogleich geköpft, sprich: Es erging Anfang der Woche „ein Verbot zur Führung der Dienstgeschäfte“. Dies ist besonders bemerkenswert, weil Innenminister Seehofer bei seinem Dienstantritt im Innenministerium ausdrücklich die offene Kritik der Mitarbeiter anmahnte. Stephan Kohn schrieb ihm dazu

Die Begrüßungsrede, die Sie im März 2018 vor uns Beschäftigten im BMI hielten, hatte auf mich einen tiefen Eindruck gemacht. Sie sprachen über Ihre Ziele und Erwartungen. Unter anderem baten Sie die Beschäftigten ausdrücklich um ihre eigene Meinung, auch wenn sie abweichend sei. Das sei gewollt und nur das führe Ihrer Erfahrung nach zu guten Entscheidungen. Sie baten nicht nur um eigene Meinung, sondern sogar um Widerspruch, falls eine eigene fundierte Meinung dies gebiete.

Hilfe, Professoren mit Zivilcourage!

Kohns Meinung war schon alleine deshalb fundiert, weil ihn gleich zehn hochkarätige deutsche Professoren und Wissenschaftler bei der Erstellung der Analyse beratend unterstützten. Womit man im Innenministerium offenbar nicht gerechnet hatte: mit Zivilcourage. Die beteiligten Wissenschaftler ergriffen in einer Stellungnahme, die Achgut.com schon am Montag vorab veröffentlichte, Partei für Stephan Kohn und mahnten an: „Unserer Auffassung nach müssten die adressierten Fachbeamten aufgrund dieses Papiers eine sofortige Neubewertung der Schutzmaßnahmen einleiten, für die wir ebenfalls unseren Rat anbieten“. 

Beim Bundesinnenministerium will man seine Selbstlob-Blase aber offensichtlich nicht verlassen, es könnte ja herauskommen, dass man eine weitgehend verfehlte Corona-Politik betrieben hat und die Frage nach den Verantwortlichen aufkommt. Man wies, so berichtet heute die BILD-Zeitung, Innenbehörden der Länder an, das Papier „als gegenstandslos zu betrachten und zu vernichten“.

Die Bild-Zeitung widmet sich dem Skandal mit einer ausführlichen Titelgeschichte („Mehr Tote wegen Corona-Regeln“). Darin kommen die beteiligten Wissenschaftler, darunter Professor Peter Schirmacher von der Leopoldina (die Nationale Akademie der Wissenschaften, die u.a. Kanzlerin Merkel berät) ausführlich zu Wort.

Die mediale Reaktion auf die Causa nimmt indes eine für die Politik und ihre Glaubwürdigkeit kritische Entwicklung. Während anfangs noch zahlreiche Medien, die Öffentlich-Rechtlichen eingeschlossen, relativ kritiklos das Märchen von der Privatmeinung eines subalternen Querulanten nachsangen, zeigte sich schnell, dass sich daran nicht alle beteiligten. „Spiegel“ und „Zeit“ fielen mit auffallend abwägenden Analysen auf, so wie sich das journalistisch gehört. Der übliche mediale Herdentrieb kam nicht so recht in Gang.

Erschreckende Bunkermentalität

Die heutige Berichterstattung in der Bild-Zeitung hebt den Vorfall nun auf eine neue Ebene. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geht gegenüber der Bild-Zeitung schon mal in Deckung: Er habe bereits im April zum „neuen Klinik-Alltag“ mit mehr Operationen für Nicht-Corona Patienten aufgefordert und eindringlich gebeten: „Gehen Sie zum Arzt“.

Es geht mittlerweile nicht nur um das Papier selbst, sondern darum, wie in deutschen Regierungsapparaten mit Kritik umgegangen wird. Hier zeigt sich eine geradezu erschreckende Bunkermentalität.

Wenn Entscheidungsträger einander in Mentalität und Weltanschauung zu ähnlich sind, werden sie leicht Opfer des Gruppendenkens, weil Informationen, die konventionelle Weisheit infrage stellen könnten, von vornherein ausgeschlossen oder als offenkundig falsch abgetan werden. In solchen Gruppen verfestigt sich eine abgeschottete Bunkermentalität, die häufig zu vollkommen falschen Einschätzungen der tatsächlichen Lage führt. 

Je abhängiger Menschen von anderen oder deren Informationen sind, desto höher ist das Risiko, dass sie gemeinsam Fehler begehen. Gescheite Gruppen bestehen aus Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven, die unabhängig voneinander sind. Ohne Erkenntnisvielfalt geht es schief. 

Oberregierungsrat Stephan Kohn hat das – ganz unbeabsichtigt – unter Beweis gestellt. Und dies ist die eigentlich gefährliche Botschaft für Horst Seehofer und die deutsche Politik überhaupt.

Quelle:
https://www.achgut.com/artikel/das_corona_papier_seehofer_im_bunker

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